Wenn Kindheitserinnerungen zum Alptraum werden
Ob die Erfinder berühmter Märchenfiguren wie Winnie the Pooh, Peter Pan oder nun auch Bambi wohl je darüber nachgedacht haben, wofür ihre Kreationen eines Tages herhalten würden? Seit Januar 2022 sind die Rechte an den Charakteren gemeinfrei, und es dauerte keine zwölf Monate, bis Regisseur Rhys Frake-Waterfield den honigliebenden Bären und seine Freunde in „Winnie the Pooh: Blood and Honey“ als blutrünstige Monster auf eine Gruppe junger Menschen losließ. Von Kritikern verrissen, an den Kinokassen aber erstaunlich erfolgreich, spielte der Film fast acht Millionen US-Dollar ein – bei einem Budget von nur 50.000.

Grund genug, ein ganzes „Poohniverse“ zu starten. Es folgten ein qualitativ stärkeres Sequel sowie „Peter Pan’s Neverland Nightmare“, das den Jungen, der niemals erwachsen wird, in einen psychopathischen Serienkiller und Tinkerbell in eine unterwürfige Junkie-Fee verwandelte. Im neuesten Werk „Bambi: The Reckoning“ bekommt nun auch das süße Reh ein blutiges Makeover und geht als aggressive Bestie auf Menschenjagd. Abgesehen hat es Bambi dabei auf die junge Mutter Xana (Roxanne McKee) und ihren Sohn Benji (Tom Mulheron), die auf dem Weg zu einem Familientreffen mitten im Wald in einen Unfall geraten. Gerade so schaffen sie es zum abgelegenen Haus der Familie zu flüchten – doch dort beginnt der wahre Albtraum.

Zwischen CGI-Chaos und Blutbad: Bambi hat Hunger
Winnie the Pooh und seine Freunde sind in der Originalvorlage sprechende Tiere, Peter Pan und Tinkerbell sind Feen – oder im Fall von Peter halb Mensch, halb Fee – und was ist mit Bambi? Nun, der ist einfach ein sprechendes Reh. Gar nicht so leicht, in einer Horrorversion glaubhaft ein Messer in die Hufe zu drücken, um Menschen abzuschlachten. Doch genau das erweist sich für Regisseur Dan Allen als Vorteil. Statt auf Kettensägen oder Äxte zu setzen, bleibt es hier animalisch: kein Sprechen, keine Waffen, nur rohe Wildheit. Trotz der Mutation durch verunreinigtes Wasser wirkt „Bambi: The Reckoning“ damit am ehesten noch geerdet und funktioniert als klassischer Tierhorror. Im Stil von Filmen wie „Crawl“ oder „Beast – Jäger ohne Gnade“ metzelt sich Bambi durch eine Familie – mit Hufen, Hörnern und unbändigem Zorn. Dabei wird es ordentlich blutig: Körper werden auseinandergerissen, zerquetscht oder Gesichter gefressen. Die Effekte sind zwar nicht außergewöhnlich, können sich für eine Low-Budget-Produktion aber durchaus sehen lassen.

Anders als Bambi selbst, dessen Aussehen unter fragwürdigem CGI leidet. Allerdings nicht so fragwürdig wie bei einer Bande mutierter Hasen, die in einer ulkigen Szene auf ihr Opfer zu hoppelt und dieses zerfleischt. Das sieht zu keiner Minute echt aus, geschweige denn löst es Angst aus, aber hat doch irgendwie einen trashigen Charme. Wo der Film punkten kann, ist beim Spiel mit Beleuchtung. Allen setzt den Wald atmosphärisch in Szene, und wenn das animierte Reh im Schatten bleibt, kaschiert das sogar das schwache CGI. Wo „Bambi: The Reckoning“ jedoch schwächelt, ist der Versuch, Substanz ins Geschehen zu bringen. Die eingeflochtene Geschichte um eine gescheiterte Ehe und eine zerrüttete Familie wirkt deplatziert und lenkt vom eigentlichen Spaßfaktor ab. Hauptdarstellerin Roxanne McKee ist dabei überraschend überzeugend, verleiht dem Film eine gewisse Bodenständigkeit, kann das schwache Drehbuch aber nicht ausgleichen. Am Ende bleibt ein Werk, das zu viel will, aber nur eines wirklich kann: unterhalten. Tiefgang erwartet hier niemand – was das Publikum will, sind trashige, verrückte und blutige Momente. Und genau die liefert Dan Allen, manchmal unbeabsichtigt komisch, aber immer mit einer gewissen Freude am Exzess.

Fazit
„Bambi: The Reckoning“ ist genau das, was man erwartet. Brutal, dumm und völlig überdreht, aber trotzdem unterhaltsam. Kein guter Film, doch wer mit den richtigen Erwartungen rangeht, bekommt genau das blutige Chaos, das versprochen wird.



