DER WATCHDOG

Titel	Untamed
Genre	Krimi, Thriller
Jahr	2025
FSK	16
Creator	Mark L. Smith, Elle Smith

Mord im Nationalpark

Ein Mann allein im Wald – das klingt nach Mythos, nach Überleben, nach Abgründen. Für Mark L. Smith, Elle Smith ist genau das der Kern ihrer Geschichten. Ob in „The Revenant”, wo ein Mann schwer verwundet ums Überleben kämpft und vom Tod verfolgt wird, oder in „American Primeval”, das den Gründungsmythos Amerikas als brutale Geburtsstunde erzählt – stets ringen ihre Figuren mit Naturgewalten, inneren Dämonen und der Frage nach Erlösung. Auch „Das Erwachen der Jägerin”, Elle Smiths Debüt, erzählte von Trauma, Herkunft und der Gewalt, die in der Familie beginnt. In „Untamed”, dem ersten gemeinsamen Projekt des Vater-Tochter-Gespanns, verdichtet sich all das: ein Kriminalfall in der Einsamkeit des Yosemite-Nationalparks, ein gebrochener Ermittler, eine Welt, in der jeder Schritt ins Freie auch einer ins Ungewisse ist. Die Wildnis ist hier mehr als Kulisse – sie ist Spiegelbild und Gegner zugleich.

Und darum geht es…

Ein toter Körper am Rand des El Capitan. Was zunächst wie ein tragischer Unfall aussieht, entpuppt sich bald als kaltblütiger Mord. Special Agent Kyle Turner (Eric Bana) wird in den Yosemite-Nationalpark geschickt, um den Fall zu untersuchen – einen Ort, den er kennt, der ihn aber doch zu überfordern droht. Inmitten atemberaubender Naturkulissen stößt Turner auf ein Netz aus Lügen, vertuschten Verbrechen und alten Wunden. Der Tod der jungen Lucy Cook ist nur der Anfang einer tiefgreifenden Ermittlung, die nicht nur den Nationalpark erschüttert, sondern auch Turners eigene Vergangenheit berührt. Je tiefer er gräbt, desto mehr verschwimmen die Grenzen zwischen Täter, Opfer und Ermittler.

Wenn die Kulissen zum eigentlichen Protagonisten werden

„Untamed” zieht den Großteil seiner Wirkung aus der Kulisse: aus der Weite des Yosemite-Nationalparks, aus moosbewachsenen Weiten, schroffen Felswänden und der unheimlichen Stille alter Wälder. Dieses Panorama ist mehr als bloße Landschaft – es ist emotionale Projektionsfläche, Bedrohung und Zuflucht zugleich. Inmitten dieser majestätischen Einsamkeit entfaltet sich ein Gefühl von Kleinheit, das zugleich eine rohe, archaische Menschlichkeit freilegt. Ein Setting, das wie geschaffen scheint für eine nihilistische Kriminalgeschichte – und seine entwurzelten Figuren. Kyle Turner, gespielt von einem gewohnt stoischen, aber innerlich brodelnden Eric Bana, ist in dieser Welt zu Hause – oder zumindest gefangen. Als grüblerischer Ermittler mit gebrochener Vergangenheit trägt er das Drama mit ruhiger Intensität. Bana gelingt es, einem vertrauten Archetypen neues Gewicht zu verleihen und der Serie ihre melancholische Gravitation zu sichern – ohne je ins Kitschige zu kippen.

Inszenatorisch erinnert „Untamed” an Taylor Sheridans „Wind River”: Natur als Spiegel innerer Zustände, als Bühne für Verlorene und Gescheiterte. Doch wo Sheridans Drehbücher raffiniert verknüpfen, bleibt „Untamed” erzählerisch konventioneller. Der Kriminalfall entwickelt sich entlang bekannter Pfade, das größere Geflecht aus Gewalt und Vertuschung wirkt vertraut – ebenso wie die traumatischen Motive in Turners Privatleben. Und doch besitzt die sechsteilige Miniserie eine stille Sogkraft. Ihre Stärke liegt weniger in der Krimihandlung als in der Atmosphäre – in der stillen Präsenz der Landschaft, dem langsamen Tempo. Für Fans entschleunigter Ermittlungsdramen mit hypnotischem Tempo und einer Naturkulisse, die zur eigentlichen Hauptfigur wird, bietet das Netflix Original am Ende trotz erzählerischer Vorhersehbarkeit einen lohnenswerten Blick.