| Titel | Matogrosso |
| Genre | Biopic, Musik |
| Jahr | 2025 |
| FSK | 16 |
| Regie | Esmir Filho |
Starttermin: 17.06.2025 | Netflix
Ney Matogrosso: Fragment eines Lebens
Musik-Biopics neigen oft zur formelhaften Erzählweise: Aufstieg, Fall, Comeback. Künstler*innen als Genie, geplagt von Sucht, Ruhm und inneren Dämonen – ein erprobtes Narrativ, das sich wiederholt, aber funktioniert. Es gibt aber auch Ausnahmen. “Rocketman” etwa inszenierte Elton Johns Leben als exzentrisches Musical, das Traum und Trauma ineinander fließen ließ – subjektiv, überhöht, radikal verspielt. Auch “Priscilla” denkt das Genre neu: Statt den Musiker – also Elvis wie im gleichnamigen Film von Baz Luhrmann – in den Mittelpunkt zu rücken, zeigt Sofia Coppola das Leben an seiner Seite – leise, eindringlich, entmythologisierend. In welche Kerbe da wohl Esmir Filhos Ode an das Lebenswerk des brasilianischen Musikers Matogrosso schlägt? Die ersten Momente des Netflix Originals “Matogrosso” jedenfalls lassen erahnen, dass hier ein anderer Ton angeschlagen wird – leiser, körperlicher, dichter am Erleben als am Erzählen.

Und darum geht es…
Der junge Ney Matogrosso (Jesuíta Barbosa) wächst in den 1950er-Jahren in der konservativen Militärstadt Bela Vista auf. Schon früh spürt er, dass er anders ist – sensibler, rebellischer, unangepasster. Der autoritäre Vater (Rômulo Braga) und das gesellschaftliche Umfeld versuchen, ihn zu disziplinieren, doch Ney zieht es hinaus in die Welt. In Rio de Janeiro entdeckt er die Bühne, den Gesang und eine neue Form von Freiheit. Als Frontmann der Band Secos & Molhados wird er in den 1970er-Jahren über Nacht zum Star: androgyner Auftritt, politische Texte, provokante Performances – mitten in der brasilianischen Militärdiktatur. Doch der Ruhm hat auch seinen Preis.

Kein Biopic nach Schema-F
“Matogrosso“ eröffnet seine Erzählung in der Jugend, im Dickicht des Regenwaldes – das sirrende Zirpen unsichtbarer Insekten, Vogelrufe, flirrendes Grün. Die Kulisse kippt spielerisch in die Gegenwart, trägt die Natur auf die Bühne, wo der Titelheld als erwachsener Performer erscheint. Ein fließender Übergang vom Jungen zum Bühnenkünstler, von Ursprünglichkeit zu Inszenierung. Untrennbar miteinander verbunden. Dass dieser filmische Balanceakt aus roher Natur und kühner Performance wohl nur wenigen Zuschauer*innen erreichen wird, ist schade – aber auch nachvollziehbar. Schließlich ist Ney Matogrosso im internationalen Kunst- und Musikbetrieb vor allem in Brasilien und im portugiesischsprachigen Raum eine Ikone. Im Westen hingegen bleibt er eine Nischenfigur – abseits von Liebhaber’*innen lateinamerikanischer Musik und der LGBTQ+-Kultur.

Dass sich “Matogrosso“ dem klassischen Auf-und-Ab der Künstlerbiografie fast vollständig verweigert, ist angenehm. Statt Stationen eines Lebens abzuarbeiten, gleitet der Film durch Bilder, Bühnenshows und Momentaufnahmen – ein Porträt, das mehr fühlt als erzählt. Esmir Filho inszeniert nicht dramaturgisch strukturiert, sondern choreografisch: Identität, Sexualität, Bühne und die Natur des Menschseins verschmelzen zu einem filmischen Erlebnis, das den Menschen Ney Matogrosso nicht erklärt, sondern erfahrbar macht. Jesuíta Barbosa in der Rolle des Titelhelden verkörpert diese Entwicklung mit stiller Intensität, als körperliches Schauspiel, das sich mehr auf Gesten als auf Worte verlässt. So wird “Matogrosso“ weniger zur Erzählung eines Lebens als zur Spurensuche nach Identität, Selbstverwirklichung und Ausdruck.

Fazit
“Matogrosso“ ist kein klassisches Biopic, sondern ein fragmentierter Blick in das Leben eines Musikers, dessen Biografie sich eher erleben als nacherzählen lässt!


