| Titel | Istanbul-Enzyklopädie |
| Genre | Drama |
| Jahr | 2025 |
| FSK | 12 |
| Creator | Selman Nacar |
Starttermin: 17.04.2025 | Netflix
Eine Stadt, zwei Frauen
Die Türkei hat Netflix in den vergangenen Jahren zwar regelmäßig mit Eigenproduktionen beliefert – doch der inhaltliche Ertrag blieb überschaubar. Statt treffsicheren Humor: klamaukige Kalenderweisheiten in “Setz’ aufs Leben”. Statt nervenzehrender Spannung: konstruiertes Thriller-Einmaleins à la “Asaf”. Statt reflektierter Dramatik: patriarchale Klischees in „Ein echter Gentleman“. Und wo Romantik versprochen wurde, wie in “Die Kunst, ein Herz zu stehlen”, gab es toxische Dynamiken im Hochglanzgewand – eingemottet in schnulzige Telenovela-Dramaturgien. Schenkt man den ersten Bewegtbildern von “Istanbul-Enzyklopädie” Glauben, könnte die türkische Dramaserie hier endlich eine Ausnahme bilden. Doch kann das Netflix Original dieses Versprechen auch halten oder reiht auch sie sich ein in eine lange Liste enttäuschter Erwartungen?

Und darum geht es…
Die junge Zehra (Helin Kandemir) verlässt ihre konservative Heimatstadt, um in Istanbul ein Studium zu beginnen. Auf der Suche nach Orientierung in der fremden Metropole zieht sie in die Wohnung von Nesrin (Canan Ergüder), einer ehemaligen Freundin ihrer Mutter. Nesrin, eine zurückgezogen lebende Medizinerin, trägt selbst schwer an ihrer Vergangenheit und den Brüchen in ihrem Leben. Zwischen den beiden Frauen entwickelt sich eine vorsichtige Verbindung, während sie sich auf unterschiedlichen Wegen mit Fragen von Herkunft, Identität und gesellschaftlichen Erwartungen auseinandersetzen. In Konfrontation mit der Stadt, miteinander und mit sich selbst geraten ihre Vorstellungen von Freiheit, Zugehörigkeit und Selbstbestimmung ins Wanken.

Unser Eindruck nach zwei Episoden
Nach einer Reihe wenig überzeugender Netflix Originals aus der Türkei, erscheint mit “Istanbul-Enzyklopädie” nun also eine Serie, die sich bewusst von der bisherigen Linie absetzt: zurückgenommen, dialogorientiert, urban. Die Geschichte zweier Frauen, die zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Herkunft und Selbstsuche ihren Platz in der Metropole suchen, verspricht zumindest auf dem Papier einen anderen Ton – ein Gefühl, das sich auch mit den ersten Bildern bestätigt. Im eingerückten 4:3-Format gefilmt – mit den charakteristischen schwarzen Balken am Bildrand – entfalten die in kühlen, entsättigten Farbtönen gehaltenen Aufnahmen eine stille, melancholische Wirkung, die sich vor allem aus den dominierenden Blau- und Grauschattierungen speist und der Szenerie eine beinahe dokumentarische, introspektive Tiefe verleiht.

Schnell wird deutlich, dass “Istanbul-Enzyklopädie” eben nicht um Hochglanz oder dramatische Zuspitzung geht, sondern um ein langsames, atmosphärisch dichtes Erzählen, das sich Zeit nimmt für Blicke, Pausen und das Unausgesprochene. Im Zentrum stehen Zehra und Nesrin, zwei Frauen aus verschiedenen Generationen, deren Leben zunächst kaum Berührungspunkte zu haben scheinen – und die sich doch auf eine gewisse Weise spiegeln. Trotz des Altersunterschieds und der unterschiedlichen kulturellen Herkunft befinden sich beide an einem ähnlichen Punkt im Leben: Zehra, aufgewachsen in einem traditionellen, gläubigen Haushalt in einer provinziellen Kleinstadt, wagt in Istanbul einen Neuanfang, während Nesrin, von der Stadt gezeichnet und zugleich von ihr getragen, an der Schwelle eines bevorstehenden Lebensabschnitts steht, in dem sie sich mit alten Entscheidungen und verdrängten Sehnsüchten auseinanderzusetzen muss.

Fazit
“Istanbul-Enzyklopädie“ ist eine stille, atmosphärisch dichte Miniserie über zwei Frauen auf der Suche nach Zugehörigkeit und Selbstbestimmung. Ohne große Gesten, aber mit viel Feingefühl erzählt sie von inneren Umbrüchen und den leisen Spannungen des Alltags – ein zurückgenommenes, sehenswertes Stadtporträt voller Zwischentöne.

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