| Titel | Girl You Know It’s True |
| Genre | Biopic, Musik |
| Jahr | 2023 |
| FSK | 12 |
| Regie | Simon Verhoeven |
Kinostart: 21.12.2023
Girl You Know It Wasn’t True
Im Social-Media-Zeitalter hat jedermann mit Smartphone und Internetzugang die Möglichkeit, durch Lip-Syncs Fame und Geld zu generieren – ein Zeitalter, das Milli Vanilli zur Genüge getan hätte. Doch vor über dreißig Jahren drehte sich die (Musik-)Welt anders. MTV spielte tatsächlich noch Musik und die Masse legte Wert auf Talente mit auffallenden Looks, die singen, spielen und tanzen konnten. Man hatte keine Songs oder Hintergrundinfos auf Abruf und hat sich schon darüber freuen können, wenn im CD-Booklet Songlyrics beigelegt waren, und alles, was man durch Printmedien, Live- oder TV-Auftritte über seine Angebeteten erfuhr, nahm man als begeisterter Fan als wahr auf, obwohl Illusionen im Showbiz nicht unüblich, wenn nicht sogar überlebensnotwendig sind.

Skandalträchtig wurde es, als die begnadeten Tänzer Rob und Fab durchs Playbackbandsteckenbleiben beim Konzert hops genommen wurden. Sie haben „Girl You Know It’s True“ nicht selbst gesungen, sondern als Dreadlock-Avatare für Farians Studioband gedient. Die Milli Vanilli Story wird von Drehbuchautor, Regisseur, und Senta-Berger-Sohn Simon Verhoeven („Männerherzen“, „Unfriend“, „FC Bayern – Behind the Legend“) im deutsch-produzierten aber überwiegend englischsprachigen „Girl You Know It’s True“ á la Biopic-Speiseplan auf humorvoll-tragische Art serviert.

Und darum geht es…
Musikproduzent Frank Farian (Matthias Schweighöfer) ist dabei seinen neusten Streich auf die Menschheit loszulassen und engagiert dafür die Tänzer Robert „Rob“ Pilatus (Tijan Njie) aus Deutschland und Fabrice „Fab“ Morvan (Elan Ben Ali) aus Frankreich. Aus ihnen formt Farian das Duo Milli Vanilli, deren Aufgabe darin besteht Körper und Lippen zum Coversong „Girl You Know It’s True“, eingespielt von der im Tonstudio eingekerkerten Band, zu bewegen. Mit Erfolg! Es kommt zu hohen Chartplatzierungen in den USA und einem Grammysieg, bis die Wahrheit ans Licht kommt …


Zwischen Kokain und Kartoffelsuppe
Der von Matthias Schweighöfer dargestellte Frank Farian macht den aufstrebenden Stars Rob und Fab vor Vertragsunterzeichnung klar, dass das Covern von existierenden Songs eine gängige Methode sei. Als Farian den Kinozuschauern die wahren Talente hinter Milli Vanilli – u.a. John Davis, Brad Howell, Charles Shaw, Ray Horton – vorstellt, fragt er sie anschließend, ob sie diese Art von Besetzung akzeptiert hätten. Natürlich mussten die Stars Schönheitsidealen entsprechen, ein Ed Sheeran hätte womöglich keinen Erfolg gehabt und wenn, dann durch einen Repräsentanten.

Die Dreadlocks, bunten Jacketts mit Schulterpolstern und Leggins gaben Milli Vanilli ihren Wiedererkennungswert. Die Jungs von der Hip Hop– / Dance Pop-Gruppe Numarx, Originalautoren von „Girl You Know It’s True“, werden als in der Mittelständigkeit feststeckende und argwöhnische Milli-Vanilli-Erfolgverfolger miteinbezogen und erhalten wenigstens durch den Film, dessen Titel sie zu verantworten haben, ihre längst überfällige Würdigung. Die vierte Wand durchbrechenden Einschübe von Rob und Fab in Bademänteln dienen dabei als eine Art Aktunterteilung und sind inzwischen kein Kunstgriff mehr, sonders ein altbewährtes Stilmittel, das nach wie vor wirkt.

Es geht locker los, die Themen rund um Rassismus, Ausgrenzung, und Ausbeute werden ohne Zeigefinger subtil eingebaut, und wer die Story von Rob und Fab kennt, weiß wie sie endet. Tijan Nije und Elan Ben Ali ergänzen sich hervorragend, wobei Letzterer keine vorherigen Einblicke in sein familiäres Umfeld bietet und dessen Lebensweg nicht so dramatisch ausfällt wie der von Rob, der sich bereits als Adoptivkind von Deutschen in deutscher Umgebung nicht zugehörig gefühlt hat und ruhmjagend sein Heim verließ, um dann mit Partys und Drogen auf der Erfolgswelle zu reiten und sich vom tiefen Karrierefall endgültig ruinieren zu lassen. Robs Charakter samt seiner Story hat, genau wie seine Augen, eine starke Anziehungskraft, dass Fab zum Nebencharakter statt zweiter Hauptrolle verkommt.

Typisch Schweighöfer
Was darf beim Biopic keinesfalls fehlen? Die Infoeinblendungen am Schluss mit Bildern der realen Personen. Man wird feststellen, dass Tijan Njie und Elan Ben Ali als Rob und Fab geglückt sind, Schweighöfer hingegen Farian nicht im geringsten ähnelt, auch nicht sprachlich. Wer Farian (einer der ausführenden Produzenten des Films) kennt, wird es bestätigen. Das heißt jedoch nicht, dass Schweighöfer nicht abliefert – keineswegs. Er verkörpert Farian auf schweighöfersche Art des Hauses und verleiht diesem mit seiner profitgierig-betrügerischen Mentalität und nachkriegskindheitsnostalgischer Vorliebe für Kartoffelsuppe eine Ambivalenz, dass man ihn als Zuschauer weder mögen, noch verabscheuen kann.

Während Schweighöfer für die Humoreinwürfe sorgt – vor allem im Zusammenspiel mit Isabelle Knispel aka Bella Dayne – ist diese als Farians Lebensgefährtin und Namenspatin Ingrid „Milli“ Segieth mit ihrer kecken Art für Heiterheit zuständig, um im Rob-nähernden Verlauf den Rollentypus eines verführerisch-dämonischen High-Society-Rotschopfs zu brechen, indem sie sich als liebenswert-fürsorglich erweist und im Tearjerking-Höhepunkt ihre emotionale Seite besonders zum Ausdruck bringt.

Bella Dayne ist längst in den USA angekommen und es wird zum Highlight, sie in deutschsprachigen Produktionen zu erleben. Eine Kinokarriere sei ihr gegönnt. Kostüme, Setdesigns, Requisitien, wie ein autobatterieartiges Handy, und Kulturereignisclips bringen End-of-80s/Early-90s-Feelings und Zeitzeugen bzw. Ex-Milli-Vanilli-Fans werden ihre besondere Freude an „Girl You Know It’s True“ haben, einer genretypischen Story um eine kurzlebige Band, die durch Gesangstalentlosigkeit Einzug ins Popkulturgedächtnis gehalten – und deren einziger Coverhit bis heute nicht seinen Ohrwurmstatus verloren hat.
Fazit
Heiter-trauriges und genretypisches Rise-and-Fall-Biopic mit sehenswerten Darstellern.

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