Wann sprechen wir von sexuellem Konsens und ab welchem Punkt beginnt eine Vergewaltigung? Eine ungemütlichere Frage hätte sich der französische Filmemacher Yvan Attal für sein Gerichtsdrama “Menschliche Dinge” nicht stellen können. Basierend auf dem gleichnamigen Roman der Schriftstellerin Karine Tuil, die sich für ihre Geschichte von dem wahren “Fall Stanford” inspirieren ließ, beleuchtet er die diametralen Blickwinkel einer vermeintlichen Vergewaltigung und nimmt sich gleichermaßen Zeit für beide Perspektiven – die eines einst lebensfrohen Studenten vor den Scherben seiner Existens und die einer innerlich gebrochenen Teenagerin. Die fesselnde #MeToo-Debatte mit einer brillanten Charlotte Gainsbourg und einem nicht weniger überzeugenden Ben Attal in den Hauptrollen, sollte man sich keinesfalls im Kino entgehen lassen!

Handlung
Alexandre liegt die Welt zu Füßen. Als Kind aus gutem Hause, mit zwei von der Öffentlichkeit geschätzten Eltern studiert er an einer Eliteuniversität in den USA und führt ein ausgelassenes Leben. Doch dann werden schwere Vorwürfe gegen ihn erhoben. Ausgerechnet die 16-jährige Tochter des neuen Lebensgefährten seiner Mutter Claire bezichtigt ihn der Vergewaltigung. Er soll die schüchterne Mila nach einer Party zum sexuellen Akt genötigt haben. Für Alexandre und seine Eltern bricht eine Welt zusammen. Ein Nein, hatte der junge Mann von ihr nie gehört und ist sich deshalb auch keiner Schuld bewusst – im Gegenteil. Er fühlt sich verraten und hintergangen. Doch auch Mila ist sich sicher: Sie wurde vergewaltigt!

Kritik
Wo fängt eine Vergewaltigung an und was ist bedeutet überhaupt einvernehmlich? Yvan Attal arbeitet geschickt mit verschiedenen Blickwinkeln, um das Publikum gezielt zu manipulieren und zu verunsichern. Der Umstand, dass die Geschehnisse lange Zeit aus der Sicht des mutmaßlichen Täters geschildert werden, ist sowohl mutig als auch höchst ungewöhnlich und sorgt für eine spannende Verlagerung der Sympathien, die sich mit fortschreitender Laufzeit und den damit einhergehenden Perspektivwechseln immer wieder neu justieren. Das macht “Menschliche Dinge” nicht nur unglaublich fesselnd und fordernd, sondern sorgt darüber hinaus auch für ein rastloses Wechselbad der Gefühle. Sowohl Alexandre als auch Mila wirken trotz aufkommender Widersprüche und gezielt geäußerten Unwahrheiten in ihrer Position aufrichtig und glaubhaft. Beide haben eine gegensätzliche Wahrnehmung von ein und derselben Situation – und die Zuschauer*innen stehen irgendwo dazwischen.

“Menschliche Dinge” ist weder ein Plädoyer für die eine oder noch für die andere Seite, sondern eine nüchterne Illustration eines komplexen Themengebiets mit differenzierten Blick auf die Auswirkungen einer Vergewaltigung und dem bloßen Vorwurf. Attal jongliert gekonnt mit Vorurteilen und stereotypen Äußerungen und prangert gleichermaßen an, wie er auch Verständnis zeigt. Diese Ambivalenz wird sicher auch einige Zuschauer*innen sauer aufstoßen lassen, ist aber ungemein wichtig, um das volle Ausmaß dieser Situation erfassen zu können. Ob eine Anschuldigung begründet ist oder nicht, hat ein Gericht zu entscheiden und nicht die Presse oder das Volk. Der niedrige Stellenwert der Unschuldsvermutung außerhalb einer juristischen Verhandlung wird schnell klar – ein Fakt, der gerade anhand des medialen Echos, dass Alexandre widerfährt, ungeschönt dargestellt wird.

Fazit
Ein hoch emotionales und spannendes #metoo-Drama
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