| Titel | Animale |
| Genre | Drama, Horror |
| Jahr | 2024 |
| FSK | 16 |
| Regie | Emma Benestan |
Heimkinostart: 11.12.2025
Feministische Wut – aber zu glatt erzählt
Das zeitgenössische Coming-of-Age-Horror-Kino hat erkannt, dass sich die tiefsten Brüche des Erwachsenwerdens nicht in Worten, sondern im Körper erzählen lassen – dort, wo Veränderung sichtbar wird, lange bevor sie begriffen ist. Julia Ducournaus „Raw“ hat es meisterhaft vorgemacht: Das Mädchen, das zur Frau wird, entdeckt ihre fleischlichen Begierden nicht nur emotional, sondern im wortwörtlichen Sinne – schmerzhaft, blutig, proteinreich. „Blue My Mind“ aus der Schweiz ging einen anderen Weg – kleiner, stiller, aber nicht weniger überwältigend. Hier wurde Veränderung nicht zur Sensation, sondern zu einem unheimlich nahbaren Prozess, der im Körper beginnt und in der Identität endet. Beide Filme nutzten Metamorphose als Ausdruck weiblicher Selbstfindung – nicht als Effekt, sondern als Essenz. Doch das ist die Falle, die das Subgenre inzwischen auch kennt: Wer sich daran wagt, muss etwas beisteuern, das die Verwandlung nicht nur zeigt, sondern durchdringt. Etwas, das emotional aufwühlt, das weh tut. Und genau hieran scheitert „Animale“.

Nejma (Oulaya Amamra), 22, ist in einer von Männern beherrschten Welt eine der wenigen Frauen, die sich weigert, sich auf die ihr zugedachte Rolle reduzieren zu lassen. In der Camargue arbeitet sie auf einer Stierfarm, trainiert hart und kämpft, um als erste Frau in den traditionellen Stierlauf aufgenommen zu werden – einem Ritual, das Männern vorbehalten ist, in dem Mut öffentlich vermessen und Körper zur Schau gestellt werden. Nach einem exzessiven Abend wird sie überfallen und schwer verletzt. Kurz darauf verändern sich die Dinge: Wunden schließen sich zu schnell, Sinne schärfen sich, ein Instinkt bricht hervor, der sich nicht mehr bändigen lässt. Während in der Region ein entfesselter Stier umgeht und junge Männer verschwinden oder tot aufgefunden werden, macht sich die Gemeinde auf die Jagd nach der Bestie. Nejma jedoch begreift, dass die eigentliche Gefahr nicht draußen lauert, sondern in ihr selbst erwacht – und dass ihre Verwandlung eng mit einem System verbunden ist, das Frauen misst, bewertet und kontrolliert.

Wenn die Metapher funktioniert, das Werk aber nicht mitzieht
Man merkt „Animale“ an, dass er viel will – und in seinen besten Momenten sieht man auch, dass er genau weiß, wie weibliche Wut, soziale Enge und Körper als Gefängnis funktionieren. Die Idee, die Transformation als mythologisches Echo klassischer Monsterbegriffe zu inszenieren, trägt. Der Stier als Symbol patriarchaler Herrschaft ist nicht subtil, aber treffend. Wenn Nejmas Wut Hörner bekommt, wird sichtbar, was hinter verschlossenen Türen sonst nur im Verborgenen brodelt. Doch während „Raw“ die innere Befreiung mit schmerzhaftem, fast unerträglichem Bodyhorror verbindet, wirkt „Animale“ erstaunlich kontrolliert. Wo „Blue My Mind“ den Prozess mit ergreifender Intimität erzählt, bleibt „Animale“ distanziert. Wir sehen die Verwandlung, aber wir spüren sie nicht wirklich. Sie passiert – aber sie trifft uns nicht. Das mag hart klingen – und doch kommt man nicht umhin, festzustellen, dass der Film seine stärkste Ebene nicht vollständig nutzt: den Körper.

„Raw“ hat Identität in die Zähne übersetzt, ins Fleisch, in die Kaubewegung, in das Erleben von Körperlichkeit, die sich weigert, unterdrückt zu werden – eine unmissverständliche Manifestation des Erwachsenwerdens, von Selbstwahrnehmung und Begierde zugleich. „Blue My Mind“ ließ die Haut zu einem fremden Raum werden, in dem Identität neu wachsen musste. Beide Filme verankerten ihre Themen unmittelbar im Leib, in dem, was greifbar, angreifbar, verletzlich ist – und „Animale“ versäumt es, diese körperliche Wahrheit spürbar zu machen. Man erkennt die Absicht: ein Film über Frauen, die in einer lauten, strukturell männlichen Welt lernen müssen, Raum einzunehmen, laut zu werden, sich zu behaupten. Das ist wichtig. Es ist richtig. Es ist notwendig. Doch die filmische Umsetzung bleibt erstaunlich traditionell. „Animale“ denkt zu viel und fühlt zu wenig. Er redet über Befreiung, statt sie spürbar zu machen. Und wenn er am Ende dort ankommt, wo die Metamorphose hinführen soll, ist man weder erschüttert noch verändert – nur sachlich informiert, wie bei einer guten, aber nüchternen Fallstudie.

Fazit
„Animale“ hat ein starkes Konzept, eine treffende Metapher und den Mut, weibliche Wut als Körperphänomen sichtbar zu machen. Es ist ein Film, der versteht, was er sagen will – aber es nicht so verkörpert, wie das Genre es verlangt. Solide Idee, ernüchternde Umsetzung.



