DER WATCHDOG

Titel	Néro
Genre	Historie, Action
Jahr	2025
FSK	16
Creator	Jean-Patrick Benes, Allan Mauduit, Martin Douaire, Nicolas Digard

Auf Messers Schneide: Netflix’ düsteres Epos

Gewalt, Verrat und das nackte Ringen ums Überleben – das Spätmittelalter ist eine Epoche, die bis heute fasziniert, weil sie zugleich roh und zutiefst menschlich ist. Karge Landschaften, von Hunger gezeichnete Gesichter und die ständige Bedrohung durch Machtspiele prägen das Bild, das Historienfilme und Serien von dieser Zeit zeichnen. Gleichzeitig stellt sie Fragen nach Moral, Loyalität und den Grenzen des eigenen Handelns. Historische Dramen versuchen, diese Härte einzufangen, zwischen spektakulären Schlachten und stillen, introspektiven Momenten zu balancieren und den Blick auf die inneren Konflikte ihrer Figuren nicht zu verlieren. Genau an diesem Schnittpunkt zwischen epischem Spektakel und menschlicher Schicksalsschwere setzt „Néro“ an – irgendwo zwischen Historienaction und düsterem Charakterdrama, wie ein Bastardkind aus „Gladiator“ und „The Last of Us“. Aber kann die Netflix Serie dieser Ambition auch standhalten?

Dürre frisst sich durchs Land, Felder verdorren, das Volk hungert – und in dieser Leere wächst die Gewalt. „Néro“ entführt das Netflix Publikum in das Jahr 1504 nach Südfrankreich, genau genommen in die Region um Perpignan in den Pyrénées-Orientales, eine Welt die weniger an Ritterromantik als an den nackten Kampf ums Überleben erinnert. Der titelgebende Söldner und Auftragsmörder (Pio Marmaï) ist längst ein Kind dieser Härte, ein Mann, der gelernt hat, dass Loyalität nur so lange währt, bis sie sich nicht mehr auszahlt. Verraten von seinem Meister, gezwungen, sich einer Welt zu stellen, die ihn längst verschlungen hat, bleibt ihm nur eine Aufgabe: seine Tochter Perla (Alice Isaaz) zu retten, bevor auch sie Opfer dieses Strudels wird.

Historienpathos ohne Herz

Ähnlich wie in “The Last of Us” ist es auch in „Néro“ eine Vater-Tochter-Beziehung, die den emotionalen Kern der Geschichte auf ihren Schultern tragen oll. Im Zentrum steht zunächst jedoch Néro selbst, ein Mann, der den schmalen Grat zwischen Gut und Böse längst überschritten hat und als Auftragsmörder eine blutige Spur hinterlässt – zumindest so lange, bis ein Verrat ihn zwingt zu erkennen, was wirklich zählt: die Familie. Dass der Übergang zum geläuterten Vater, der vierzehn Jahre nicht für seine Tochter da war und stattdessen mordend durch die verrohte Welt zog, kaum glaubwürdig wirkt, mag man der französischen Netflix Produktion zunächst noch verzeihen, die sich fortlaufende Distanz zu den eigenen Figuren hingegen weniger. Statt sich der Dynamik zwischen dem Titel(anti)helden und Perla zu widmen, entspannt sich so ein austauschbarer Roadtrip durch das moralisch verfallene Frankreich ohne nennenswerte Highlights.

Die Welt von „Néro“ mag solide ausgestattet daherkommen, mit staubigen Dörfern, prunkvollen Palästen und gottverlassenen Weiten. Doch was auf den ersten Blick nach Authentizität aussieht, bleibt merkwürdig blutleer – und wirkt bei näherer Betrachtung doch ziemlich steril und entseelt. Dem Frankreich des 16. Jahrhunderts fehlt es an charakteristischer Textur – an jenem Gefühl von Zeit, Ort und Schwere, das eine Geschichte wirklich verankert. Nie ist „Néro“ dabei kompromisslos oder düster genug, um atmosphärisch zu wirken, nie leichtfüßig oder selbstironisch genug, um seine eigene Überzeichnung zu durchbrechen. So bleibt die Serie in einem tonal unsicheren Niemandsland gefangen: zu ernst für Eskapismus, zu glatt für emotionale Wucht – und am Ende vor allem eines: seltsam distanziert, so wie die Figuren, die sich darin tummeln.