| Titel | Ein ehrliches Leben |
| Genre | Thriller, Drama |
| Jahr | 2025 |
| FSK | 16 |
| Regie | Mikael Marcimain |
Starttermin: 31.07.2025 | Netflix
Wenn Ideale verblassen
Sie rufen nach Gerechtigkeit, marschieren für das Richtige – und merken nicht, wie sie selbst zu dem werden, was sie bekämpfen. Wer sich dem Widerstand verschreibt, macht dies mit klarem Anliegen: Gerechtigkeit, Gleichheit, Veränderung. Doch je geschlossener das Wir, desto größer ist die Gefahr, dass Prinzipien zu Dogmen werden. Die moralische Überlegenheit endet dort, wo sie sich nicht mehr hinterfragt, sondern nur noch behauptet – das diente auch Joakim Zanders Roman “Ein ehrliches Leben” als Leitfaden. Eine Geschichte über Idealismus und den Drang etwas zu verändern – die zeigt, wie leicht Engagement in Selbsttäuschung und zerstörerische Hybris umschlagen kann. Ob es der gleichnamigen schwedischen Adaption auf Netflix gelingt, diese Ambivalenz überzeugend aufzugreifen, erfahrt ihr in unserer Kritik.

Und darum geht es…
Ein neuer Lebensabschnitt, eine neue Stadt – für Simon (Simon Lööf) beginnt das Jurastudium in Lund wie ein Aufbruch ins Erwachsensein. Doch der Traum von Karriere und Ordnung bekommt früh Risse. Eine eskalierende Demo, eine junge Frau namens Max (Nora Rios), ein Kuss – und plötzlich ist Simon mittendrin in einer Welt voller Wut, Ideale und gefährlicher Reize. Während er sich in Max verliebt, verliert er sich zunehmend selbst: in vermeintlich politischen Aktionen und Gesprächen über die Lüge vom ehrbaren Leben. Was als Abenteuer beginnt, wird bald zum Albtraum. Denn die Grenze zwischen Aufbruch und Abgrund verläuft nicht dort, wo er sie vermutet hat. Und irgendwann muss Simon entscheiden, wem er noch trauen kann – Max, dem System oder sich selbst.

Radikaler Widerstand ohne Haltung
Die anarchistische Gruppe um Max lebt nach eigenen Regeln – radikal, kompromisslos, konsequent. Doch was zunächst wie gelebte Freiheit wirkt, kippt allmählich in ideologischen Starrsinn, dessen gedankliche Fundierung das Drehbuch kaum vermittelt. So verliert sich “Ein ehrliches Leben” schnell in simple Gut-und-Böse-Schemata, ohne die moralischen Grauzonen des Widerstands je hinreichend auszuloten – und die Revolte verkommt zum ästhetischen Konzept, ohne politisches Anliegen. Die Figuren berufen sich auf große Ideen, zitieren Schlüsselfiguren der anarchistischen Theorie, stehlen von den Reichen – doch “Ein ehrliches Leben” interessiert sich kaum für die Utopie, die sie beschwören. Statt echter Haltung dominiert Eskapismus; Idealismus wird zur Projektionsfläche für Ekstase, Selbstverlust und elitäres Rebellentum. Ob sich die Romanvorlage traut, den unbequemen Fragen nach der Rechtmäßigkeit radikalen Widerstands auf den Grund zu gehen, lässt sich ohne Vorlagenkenntnis schlecht beurteilen. “Ein ehrliches Leben” jedenfalls umschifft diesen Gedankengang weiträumig und konzentriert sich lieber auf den Reiz anarchistischer Pose, auf Gruppendynamik, Zugehörigkeit – und letztlich auch den Sirenengesang rebellischer, junger Liebe.

So tänzelt Simon nicht besonders lange auf der Schneide der Schere zwischen Arm und Reich – und die Geschichte versinkt schnell im Sog austauschbarer Klischees, generischer Thriller-Motive und oberflächlicher Symbolik. Simons Leben zwischen juristischen Lehrbüchern und romantisch-verklärter Aussteigerblase, zwischen Elitecampus und Kellerkommune, bleibt dabei ohnehin ein vages Konstrukt. Der Reiz des radikalen Andersseins wird zwar behauptet, aber nie spürbar. Sein Wechsel der Milieus wirkt kaum nachvollziehbar – geht es doch von der einen prätentiösen Parallelwelt nahtlos in die nächste. Die Gespräche kreisen bedeutungsschwanger um sich selbst, der Wein fließt aus denselben dekadenten Dekanter – ob in anarchistischer Gesellschaftsutopie oder elitärem Spießbürgertum, die pathetische Attitüde bleibt bestehen. Ob es nun der Banalität der vermeintlichen Revolte selbst oder dem oberflächlichen Skript zuzuschreiben ist, lässt sich schwer einschätzen. Der ansonsten spannend vorgetragenen Erzählung hätte mehr Tiefgang jedenfalls gutgetan.

Fazit
Anspruch und Haltung bleiben vage – unterhaltsam, aber kaum mehr!


