Gefangen in der Babyhölle
Es sind die kleinen Gesten, die das Mutterglück definieren – der erste Händedruck, winzig und zart; ein leises Gähnen, so ansteckend herzlich, dass es die Müdigkeit in ein Lächeln verwandelt; das weiche Heben und Senken des Brustkorbs, wenn das Baby auf der Brust schläft, und dieses friedvolle Schnarchen, das jede Sorge verschwinden lässt. Der Duft von Babypuder in der Luft, das erste Lächeln, der tiefe Blick in die eigenen Augen – eine stille, unsichtbare Verbindung, unerschütterlich, bedingungslos, aufrichtig. Kleine, kostbare Geschenke der frisch gewonnenen Mutterschaft. Zumindest wird sie uns so vorgelebt, frei von Fehlern, Tücken, nichts als reine Liebe. Dass es auch anders gehen kann, zeigt “Baby Ruby” – Netflixs neueste Horror-Errungenschaft, die man nicht verpassen sollte!

Und darum geht es…
Die erfolgreiche Lifestyle-Bloggerin, Jo (Noémie Merlant), wird nach der Geburt ihres ersten Kindes mit den Herausforderungen der Mutterschaft konfrontiert. Während sie sich bemüht, ihr altes Leben mit den neuen Verantwortungen zu vereinbaren, beginnt sie, zunehmend unter Schlafmangel und Stress zu leiden. Ihr Mann Spencer (Kit Harington) unterstützt sie, doch Jo fühlt sich isoliert und verliert langsam den Bezug zur Realität. Zwischen Albträumen und realen Erlebnissen verschwimmen die Grenzen, und Jo beginnt, an allem zu zweifeln.

Tabuthema postpartale Depression
Kaum ein Medium eignet sich so gut, um gesellschaftliche Tabus aufzubrechen, wie das Horrorgenre. Einerseits aufgeklärt, offen für Diskussionen über Vielfalt, Inklusion und mentale Gesundheit, scheint es auch im woken Jahr 2024 noch viele Themen zu geben, die zwar partiell angesprochen werden, vom Großteil der Gesellschaft aber immer noch Stigmatisierung erfahren. Wer sein Kind nicht bedingungslos liebt, dabei den Haushalt, das eigene Unternehmen und die Ehe vorantreibt; höher, schneller, weiter; und zugleich wie gemalt aussieht, ist eine Rabenmutter. Fehler sind unverzeihlich, Perfektion gewünscht, oder besser noch, vorausgesetzt. Was in einem 50er Jahre Werbespot, mal abgesehen vom Aspekt der Businessfrau, vielleicht funktioniert, erweist sich in der Realität als Märchen. “Baby Ruby” nimmt das zum Anlass und entspinnt daraus eine surrealen Albtraum. Willkommen in der Babyhölle!

Wer frei von Fehlern ist, der werfe den ersten Schnuller. Als wäre die Mutterschaft nicht schon schwer genug, und Versagen ein Schuldeingeständnis, wird über das öffentlich quasi kaum stattfindende Krankheitsbild der postpartalen Depression erst recht ein Tuch des Schweigens gelegt. Wie auch für Jo, wird das Mark und Bein durchdringende Babygeschrei auch für das Publikum zum permanenten Begleiter, der sich heimtückisch mit dem ohnehin schon atmosphärischen Score verschmilzt, um seine unnachgiebige Attacke auf die Nervenbahnen. Der Horror selbst ist psychologischer Natur und subtil, aber wirkungsvoll. “Baby Ruby” wirft das Hauptaugenmerk auf die unausgesprochene Monotonie des Mutterseins, schneidet von blutigen Toilettenwasser, zu von Schlaflosigkeit zermürbten leeren Augen, und ebnet dadurch schon früh den Weg für Jos Abstieg in den Wahnsinn. Das starke, offen gehaltene und doch eindeutige Ende bedarf dann keiner großen Erklärung und rundet “Baby Ruby” zufriedenstellend ab.

Fazit
„Baby Ruby“ nutzt subtile, psychologische Horror-Elemente, um die unausgesprochene Monotonie und Tabus rund um die Mutterschaft zu thematisieren!

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